Kandy, 10.8.2014
Heute Morgen kann man so richtig ermessen, welche Wohlfühloase Nuwara Eliya und Umgebung für die britischen Kolonialtruppen gewesen sein muss. Als wir um 9:00 Uhr abfahren, dürfte das Thermometer deutlich weniger als 20 Grad Celsius anzeigen und wir haben "Londoner Nebel". Man sieht streckenweise kaum 100 Meter weit. Ab und zu nieselt es leicht.
Am Straßenrand werden derweil die ersten Gemüsestände aufgebaut. Es ist immer wieder interessant zu beobachten, wie Hochlandbewohner in Asien mit der Kühle umgehen. Die obere Körperhälfte ist meist dick vermummt, als bräche man gleich zur Eisbärenjagd am Jenissei auf, unten wird aber oft nur eine dünne Hose oder ein dünner Rock getragen und die nackten Füße stecken in den üblichen Badelatschen.

Je weiter wir uns von Nuwara Eliya entfernen, desto größer und dominierender werden die Teeplantagen. Große Firmen besitzen häufig auf mehreren benachbarten Berghängen Pflanzungen und haben in diesen jeweils große Schilder mit ihren Firmennamen aufgestellt. Nachdem wir eine Weile durch diese Teeplantagen gefahren sind, wechselt die Vegetation entlang der Passstraße wieder: Wir fahren nun durch dichte Kiefernwälder. Etwas später verlassen wir den Bereich der Monokulturen und der natürliche Bewuchs dominiert. Ich bin bekanntlich kein Freund des kühlen und regnerischen Wetters, aber dennoch halte ich mich auf meinen Reisen immer wieder gerne in höher gelegenen Regionen auf. Nirgendwo ist die tropische Pflanzenwelt nur annähernd so vielfältig, üppig und faszinierend anzusehen wie in Bergwäldern. Nadelbäume, Baumfarne, Schraubenbäume, alle Arten von Epiphyten, grellbunt blühende Bäume und Sträucher gibt es zu sehen. All diese Pracht steht zudem innerhalb einer pittoresken Berglandschaft.
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Landschaft entlang der A5 nach Kandy.
Ab und zu ist es sogar möglich, an interessanten Stellen anzuhalten, zum Beispiel an großen Wasserfällen. Etwa anderthalb Stunden fahren wir durch die faszinierende Landschaft, dann dominieren wieder Teefelder. Dazu passend machen wir bald Station an einer seit fast 150 Jahren bestehenden Teefabrik, deren Namen ich eher mit schottischem Whisky assoziiert hätte als mit Tee: Glenloch. Wie schon letztes Jahr in Malaysia, kann ich an einer kurzen Führung teilnehmen, im Rahmen derer die einzelnen Produktionsschritte der Teeherstellung erläutert werden: Anlieferung der Blätter, Vortrocknung, Rollen und Zerkleinerung, Fermentierung, Trocknung, Siebung und Sortierung, Abfüllung. Zumindest läuft es so ab, wenn man reinen schwarzen Tee herstellt. Darüber hinaus werden aromatisierte Sorten erzeugt. Grünen Tee gewinnt man ebenfalls, hierbei fallen Zerkleinerung und Fermentierung weg.
Nach der interessanten Führung werde ich in die Probierstube geführt, in der ich einen Tee der Qualitätsstufe BOP kosten kann. Ich kaufe anschließend 300 Gramm für 1000 Rupien. Mit dieser Besichtigung endet der Ausflug ins Hochland. Bald schon schlängelt sich die Serpentinenstraße nach unten. Die Vegetation fasziniert weiterhin, aber es sind nach einigen Kilometern bereits die ersten Reisfelder zu sehen. Wir begeben uns nicht ganz auf Meeresniveau, unser heutiges Ziel, Kandy, liegt 520 Meter hoch.
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Oben: In der Glenloch-Teefabrik. Unten links und mitte: Teesträucher in der Berglandschaft. Unten rechts: Soldatenfriedhof in Kandy.
Etwa um die Mittagszeit kommen wir in der Stadt an und schleichen dort durch den Stau. Das ist nicht weiter verwunderlich. Heute ist Vollmondtag und somit ein Feiertag in Sri Lanka, in Kandy noch dazu ein besonders hoher. Abhängig vom Mondkalender findet im Juli oder August vom Neumond bis zum darauffolgenden Vollmond das größte religiöse Fest Südasiens statt: Die Esala Perahera. Ich wollte unbedingt etwas von diesem Fest sehen, deshalb habe ich bei der Reiseplanung darauf geachtet, spätestens heute nach Kandy zu kommen. Die Feierlichkeiten finden erst am Abend statt, aber schon jetzt ist das Verkehrsaufkommen sehr hoch.
Vor dem weiteren Programm steht eine Einkaufstour an. Nimal bekommt für das Anfahren der Geschäfte etwas bezahlt. Er hat sogar fertig ausgefüllte Formulare der Reiseagentur dabei, die er sich im Geschäft abstempeln und unterschreiben lassen muss. Wieder geht es um Juwelen. Der Besitzer des Ladens spricht Deutsch (zumindest glaubt er das) und damit ich gleich weiß, mit welch exklusiver Qualität und welch erfahrenem Personal ich hier zu tun habe, werde ich erst einmal in einen Videoraum geführt und muss mir einen deutschsprachigen Film über die Edelsteingewinnung und –verarbeitung, verbunden mit Eigenwerbung ansehen. Das Ansehen der Auslagen bringe ich ziemlich schnell hinter mich.
Nach dieser unerquicklichen Veranstaltung besichtige ich einen Soldatenfriedhof aus dem zweiten Weltkrieg. Anschließend fährt Nimal zu einem Restaurant und bestellt für mich ein traditionelles Chicken Curry. Es handelt sich nicht um ein einzelnes Gericht wie gestern Abend, sondern um eine Tafel, an der sich eine Reisegruppe satt essen könnte. Zur großen Schüssel Reis erhalte ich das eigentliche Hühnchen-Currygericht, einen Salat mit Zwiebeln, Mango-Chutney, Dhal, Okraschoten, Kokosnuss-Sambol, ein Gericht aus Bananenblüten und eines aus gelben, dicken Bohnen, sowie Papadam. Zu trinken gibt es Mineralwasser und Tee. Bier gibt es heute nicht, da wir, wie schon erwähnt, einen buddhistischen Feiertag haben. Die Kosten für all das belaufen sich auf knapp 1400 Rupien.
Nach dem köstlichen Essen fährt mich Nimal ins Hotel. Um fünf Uhr wird er mich zum Besuch des Festes abholen. Er schärft mir ein, nur zwei 500-Rupien-Scheine für zwei Tuk-Tuk-Fahrten mitzunehmen und sonst, außer natürlich der Kamera, nichts. Die Diebstahlsgefahr in der Menge sei zu hoch. Ich bin schon sehr gespannt, was mich erwarten wird.
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Warnung am Hotelfenster.
Um 17:00 Uhr beginnt die knatternde Fahrt mit dem von Nimal bestellten Tuk-Tuk. Nach etwa einer Viertelstunde im dichten Verkehr sind wir da. Wie ich schon befürchtet habe, bin ich ab jetzt auf mich selbst gestellt. Nimal erinnert mich daran, dass ich für die Rückfahrt ebenfalls nur 500 Rupien bezahlen soll, egal was der Fahrer verlangt. Dann verabschiedet er sich von mir und mein Problem beginnt. Die Abschlussprozession ist, was das Gedränge angeht, durchaus mit dem Rosenmontagszug in Köln vergleichbar. Zwar kommen absolut gesehen weniger Leute, aber die engeren Straßen sorgen für ein vergleichbares Chaos. Man darf ausschließlich auf den Gehwegen sitzen. Vor diesen befinden sich Absperrungen. Selbst wenn man diese überklettern würde, fände man keinen Platz. Die Leute, die dort sitzen, campieren seit dem frühen Morgen und werden selbstverständlich nicht für einen Touristen, der viele Stunden später kommt, Platz machen. Das würde ich an ihrer Stelle auch nicht tun. Die Alternative wäre, sich von Schleppern auf Sitzplätze in den Obergeschossen von Läden und Restaurants bringen zu lassen. Das kostet bei der Platzknappheit 10000 Rupien aufwärts und man kann davon ausgehen, dass die guten Aussichtspunkte längst vergeben sind.
Verzweifelt versuche ich, irgendwo einen "halboffiziellen" Platz zu finden, die Sicherheitskräfte sind aber rigoros. Auf meiner Platzsuche werde ich im Verlauf der nächsten Stunden immer weiter den Prozessionsweg entlang getrieben und lande schließlich, zusammen mit unzähligen Einheimischen, auf einem Bahngleis mit einer relativ steilen Böschung auf beiden Seiten. Als ich mich dort einigermaßen eingerichtet habe und so stehe, dass ich vermutlich wenigstens eine kleine Chance habe, irgendetwas zu sehen, passiert, was passieren muss: Ein Zug kommt. Die Sicherheitskräfte treiben uns hektisch auf die Böschungen. Als der Zug da ist, fährt er in etwa fünf Zentimetern Entfernung an mir vorbei. Auf dem bröseligen Untergrund der Böschung findet man nicht besonders guten Halt und ich bin dem unbekannten Mitmenschen dankbar, der mir von hinten den Arm um die Brust legt, als uns der Zug passiert.
Eine gute Seite hat das Abenteuer: Nachdem die Bahnschranke wieder offen ist und sich die Menge verteilt, finde ich einen besseren Platz. Zu meinem Glück kommt für den Rest des Abends kein weiterer Zug. Bevor der Umzug beginnt, müssen wir uns alle hinsetzen. Das ist anstrengend für den Rücken, weil man in dem Gedränge nicht gerade in der bequemsten Lage sitzen kann, verbessert die Sicht auf die Straße aber zusätzlich.
Gegen 22:00 Uhr kommt die Prozession schließlich vorbei. Angekündigt wird sie durch Männer, die mit Peitschen auf die Straße schlagen. Es folgen Feuerakrobaten, viele Tanzgruppen, die Schwertkämpfe und Szenen aus buddhistischen Geschichten darstellen, Stelzenläufer, Balancekünstler mit Jongliertellern und prächtig geschmückte Elefanten. Auf manchen derselben sitzen die ebenso prächtig gekleideten Elefantenführer, auf anderen werden beleuchtete Schreine präsentiert. Alle Elefanten haben an Kopf und Rüssel Lichterketten umgebunden und sind daher in der Nacht schon von weitem zu erkennen.
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Oben links: Die Prozession wird angekündigt. Oben mitte und rechts: Das Spektakel beginnt. Unten: Elefantenparade.
Immer mehr traditionell gewandete Tanz- und Gesangsgruppen treten auf, immer greller sind die Elefanten beleuchtet, immer kunstvoller werden die Satteldecken und die Schreine. Nach etwa anderthalb Stunden folgt der Höhepunkt, zu dem alle Zuschauer aufspringen: Die Kopie der Zahnreliquie aus dem berühmtesten Tempel von Kandy wird uns präsentiert. Sie befindet sich in einem hell beleuchteten Schrein, der auf dem Rücken eines großen Elefanten mit riesigen Stoßzähnen thront, welcher von zwei weiteren Artgenossen flankiert wird.
Vermutlich markiert dies die Mitte der Prozession. Weiter geht es mit unzähligen Tanz- und Gesangsgruppen und beleuchteten Elefanten. Für den Laien ist auffällig, dass die Farben der Lampen, die man den Tieren umgebunden hat, variiert. Waren bisher alle weiß, folgen nun viele gelb beleuchtete Gruppen, später folgen blaue, schließlich rote. Wäre dem Betrachter daran gelegen, nähere Informationen zur Bedeutung der Prozessionsabschnitte und den Darbietungen der Tänzer zu bekommen, wäre es ratsamer, im Hotel zu sitzen und sich die Live-Übertragung im Fernsehen anzusehen. Aber selbst wenn man die Details nicht versteht, ist das direkte Erlebnis vor Ort durch nichts aufzuwiegen.
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Die Esala Perahera. Oben rechts, mitte links und mitte: Der stattlichste Elefant trägt den Schrein mit der Zahnreliquie.
Nach weit über zwei Stunden bröckelt die Anzahl der Zuschauer stark ab. Die ortskundigen Einheimischen machen sich über die Bahntrasse auf den Heimweg. Ich wage das selbstverständlich nicht, aber als immer mehr Leute nach Hause gehen, gibt die Polizei die Absperrung einer Seitenstraße auf und ich kann von dort aus ebenfalls den Weg ins Hotel antreten. Nach einiger Zeit erreiche ich eine belebte Hauptstraße, schaffe es tatsächlich einen Tuk-Tuk-Fahrer anzuhalten (das ist gar nicht so einfach, da ja unzählige andere Leute die gleiche Idee haben wie ich), und lasse mich für 500 Rupien ins Hotel zurückschaukeln. Kurz vor 1:00 Uhr komme ich dort an. Als ich den Fernseher anschalte, sehe ich dort, dass die Veranstaltung weiterhin läuft.
Ich habe allerdings genug für heute. Die Prozession war ein faszinierendes, unvergessliches Erlebnis und ich hatte das Glück, ohne einen überteuerten Logenplatz zu reservieren, dennoch vieles davon zu sehen. Nun falle ich aber erst einmal ins Bett. Nur gut, dass mich Nimal erst um 14:00 Uhr abholen wird.