Varanasi, 11.11.2010
Nach einer viel zu kurzen Nacht klingelt um 4:45 Uhr der Wecker. Der erste heutige Programmpunkt heißt "Sonnenaufgang über dem Ganges", und dieser wartet bekanntlich nicht, bis man ausgeschlafen ist. Nach einer kurzen Autofahrt besteigen mein temperamentarmer Begleiter und ich ein Boot, auf dem eine fünfzehnköpfige Reisegruppe Platz hätte, und die Fahrt beginnt. Bald schon geht die Sonne am dunstigen, aber fast wolkenlosen Himmel auf. Die eigentlichen Attraktionen spielen sich jedoch alle auf der anderen Seite ab. Wir fahren die Ghats entlang und sehen viele Pilger, die sich rituell im heiligen Wasser des Flusses waschen, und Priester, die Ritualhandlungen vollziehen. Man kann die tiefe Spiritualität fast mit den Händen greifen. Am Ende der Ghats befinden sich die Verbrennungsstätten. Hier werden Tote auf Scheiterhaufen eingeäschert. In der heiligen Stadt Varanasi zu sterben und verbrannt zu werden, gilt als großes Glück. Bei den Krematorien wendet das Boot und fährt alle Ghats in der anderen Richtung ab. Den Abschluss der heiligen Treppen auf der anderen Seite der Stadt bilden wiederum Verbrennungsstätten.
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Unten mitte und rechts: In der Altstadt von Varanasi. Alle anderen Bilder: Fahrt auf dem Ganges bei Sonnenaufgang.
Wir setzen ans Ufer über, und ich gehe zusammen mit meinem Begleiter an Land, zwischen den Haufen des für die Verbrennungen gestapelten Holzes hindurch. Wir gehen durch enge Gassen, ab und zu Fahrrädern, Mopeds, Fußgängern, Kühen und ihren Hinterlassenschaften ausweichend. Irgendwo in der Altstadt halten wir an einem Geschäft. Dort bleibt mein Reiseleiter mit meiner Kamera zurück (die ja eine getarnte Bombe sein könnte) und ich werde von einem jungen, im Geschäft angestellten Mann zum Eingang einer kaum zwei Meter breiten Gasse geführt. Nach dem Passieren einer strengen Sicherheitskontrolle gelangt man zu den Eingängen einer Moschee und eines hinduistischen Tempels, dessen Hauptheiligtum mit über 800 Kilogramm Gold überzogen ist. Beide Sakralstätten dürfen nur von den Angehörigen der jeweiligen Religionen betreten werden, und die Sicherheitskontrollen sollen die Gläubigen vor Angriffen von Fanatikern der anderen Fraktion schützen.
Nach diesem interessanten, etwas beklemmenden Besuch wird im Geschäft eine kurze Rast bei einer Tasse Masala-Tee eingelegt, dann gehen wir durch die engen Gassen zum Auto. Ich werde zunächst ins Hotel zurückgefahren, um eine Pause zu machen. Danach gehen die Besichtigungen weiter. Wir fahren zuerst zu einer großen Universität, an der 17000 Studenten eingeschrieben sind, von denen viele auf dem Gelände wohnen. Mitten in dem riesigen Areal befindet sich ein moderner Tempel, den wir kurz besichtigen. Danach fahren wir zum Bharat Mata-("Mutter Indien"-)Tempel, der von Mahatma Gandhi gestiftet wurde. Sein Boden wird durch eine dreidimensionale Landkarte Indiens und seiner Nachbarländer aus Marmor gebildet.
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Oben links: Tempel auf dem Universitätsgelände. Oben rechts: Bharat Mata-Tempel. Unten: In Sarnath.
Nach dieser Besichtigung brechen wir zu unserem Hauptziel auf. Wir fahren etwa zehn Kilometer stadtauswärts, bis wir im buddhistischen Wallfahrtsort Sarnath ankommen. Auch wenn der Buddhismus im heutigen Indien so gut wie überhaupt keine Präsenz mehr besitzt, darf man dennoch nicht vergessen, dass sein Ursprung in diesem Land liegt. Der historische Buddha begann genau hier, in Sarnath, seine Lehre der Welt zu verkünden. Zum Gedenken daran wurden viele Klöster und Stupas errichtet, die Gebäude wurden allerdings im Laufe der Geschichte zerstört. Nur die größte, 33 Meter hohe Stupa, die angeblich exakt dort steht, wo Buddha seine erste Lehrrede hielt, wurde wieder aufgebaut, die Überreste der anderen Gebäude sind inzwischen alle ausgegraben und können als archäologische Stätte besichtigt werden. Bei Touristen aus den buddhistischen Ländern Asiens ist der Besuch dieses Ortes verständlicherweise besonders beliebt. Recht interessant ist das unweit der Ausgrabungsstätte gelegene Museum mit seinen vielen buddhistischen und vereinzelten hinduistischen Sandsteinskulpturen. Im Zentrum der Eingangshalle steht das Löwenkapitell. Vier etwa lebensgroße Steinlöwen blicken am Fuß einer Säule in die vier Himmelsrichtungen. Das indische Staatswappen, das man auf allen Rupienscheinen sehen kann, ist ein Abbild dieses Kapitells.
Nach dieser interessanten Besichtigung steht eine kleine Einkaufstour auf dem Programm. Wir besichtigen eine Seidenweberei. Hier werden unter anderem klassische Gewebe hergestellt, deren Fertigung nur noch von insgesamt sechs Familien beherrscht wird. Das Weben ist so kompliziert und aufwändig, dass erfahrene Weber nur etwa drei Zentimeter pro Tag schaffen. Im Geschäft hat mir der Besitzer, der wie der Archetyp eines orientalischen Basarhändlers wirkt, selbstverständlich viel zu zeigen. An und für sich sind mir diese Veranstaltungen absolut zuwider, da ich mir nur dann etwas kaufe, wenn es mir wirklich gut gefällt, was nur sehr selten vorkommt. Heute jedoch habe ich Glück. Unter den außerordentlich vielen Sachen, die zwar alle eine gute Qualität aufweisen, aber ganz und gar nicht meinen Geschmack treffen, finde ich eine schöne, klassische Arbeit (von einer der erwähnten sechs Familien hergestellt), die Shri Ganesha, den elefantenköpfigen Gott der Weisheit darstellt. Sie ist nicht "unbezahlbar", deswegen kommt eine bestimmte Plastikkarte zum Einsatz. Somit sind alle Seiten zufriedengestellt.
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Shri Ganesha.
Wir fahren wieder zurück nach Varanasi. Mein gemütlicher Begleiter verabschiedet sich irgendwo in den Außenbezirken von mir und steigt aus, der Fahrer empfiehlt mir ein Restaurant in der Nähe, in dem ich Paneer Masala (ein leicht scharfes, rotes Currygericht mit Hüttenkäse), Jeera-Reis (mit Cuminsamen gewürzt) und Naan-Brot esse. Zusammen mit einer Salted Lemon Soda zahle ich 300 Rupien. Es hätte sogar kühles Kingfisher-Bier gegeben, ich habe jetzt aber meinen Stolz. Schließlich ist Varanasi ein heiliger Ort. Nach dem Essen lasse ich mich durch den wirklich unglaublichen Stadtverkehr zurück ins Hotel fahren und mache dort erst einmal eine längere Pause.
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Straßenszenen in Varanasi.
Am späten Nachmittag verlasse ich mein Domizil wieder. Erstens will ich einige Straßenszenen fotografieren, zweitens möchte ich das gestrige Versäumnis wettmachen, ohne Kamera bei der Ganga Aarti-Zeremonie zugesehen zu haben. Beides lässt sich gut miteinander verbinden, denn auf dem etwa drei Kilometern langen Weg zur Zeremonie komme ich genau durch die Straßen, in denen ich die Aufnahmen machen will. Ich schieße einige Fotos und komme dann ziemlich früh an meinem Zielort an. Daher kann ich mir problemlos einen guten Platz zum Fotografieren aussuchen. Obwohl ich hier ebenfalls viele Aufnahmen mache, gelingt es mir dennoch, die einzigartige Atmosphäre der Szenerie auf mich wirken zu lassen.
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Ganga Aarti-Zeremonie am Ufer des heiligen Flusses.
Nach diesem schönen Erlebnis gehe ich durch den chaotischen Straßenverkehr zurück in Richtung meines Hotels, esse auf dem Weg in einem kleinen Restaurant Navraton Korma, ein Gericht mit verschiedenen Gemüsesorten und Früchten, dazu gibt es Reis und zwei Salted Lemon Soda. Alles zusammen mundet hervorragend, und ist mit 248 Rupien nicht gerade teuer. Rundum zufrieden gehe ich in mein Hotel zurück und schließe so meinen Aufenthalt in Varanasi ab. Morgen werde ich nach Khajuraho weiterreisen.