Varanasi, 10.11.2010
Heute ist ein denkwürdiger Tag, gewissermaßen ein Tag der Verspätungen. Ich habe drei Flüge zu absolvieren, und die Termine sind ganz knapp auf Kante genäht. Es kommt, wie es kommen muss. Die Boeing 737-800 der Jet Airways von Aurangabad nach Mumbai fliegt deutlich zu spät ab, so dass ich meinen Anschlussflug nach Delhi verpasse. Man bucht mich zwar unbürokratisch auf den nächsten Flug um, das verschiebt aber nur das Problem: Statt in Mumbai, drohe ich nun in Delhi zu stranden, da ich dort die Fluggesellschaft wechseln, also auf den Koffer warten, ganz neu einchecken und erneut durch die Sicherheitskontrolle gehen muss. Als wäre dies nicht genug, gibt es technische Probleme auf dem Flughafen, die dazu führen, dass die Maschine (wieder eine 737-800) mit einer ganzen Stunde Verspätung fliegt. Als dies feststeht, muss ich die Hoffnung begraben, die Spicejet-Maschine nach Varanasi zu erreichen. Ich werde versuchen müssen, die lokale Reiseagentur zu kontaktieren und einen späteren Flug zu meinem Zielort zu buchen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass diese im Hintergrund von meinen Problemen erfährt, alle Hebel in Bewegung setzt und sich das Glück in meine Richtung wendet. Als ich gerade frustriert in Delhi am Band auf meinen Koffer warte, spricht mich ein Mitarbeiter der Reiseagentur an. Er ist wahrhaftig ein Retter in der Not, denn er versucht nicht nur, mir so gut wie möglich zu helfen, sondern tut intuitiv immer das Richtige in der richtigen Reihenfolge. Er schleppt mich vom Band weg zum Spicejet-Schalter, an dem ich in letzter Sekunde einchecken kann (die Dame am Schalter verspricht, überdies einige Minuten auf den Koffer zu warten), hetzt dann zurück zum Band, um etwas später tatsächlich mit meinem Koffer zurückzukommen, jagt mit mir zu der langen Schlange vor der Sicherheitskontrolle und gibt mir dort immer wieder mit Handzeichen zu verstehen, dass ich mich gegen meine Art rücksichtslos vordrängeln soll. Diesem Mann habe ich zu verdanken, dass sowohl ich als auch mein Koffer in allerletzter Sekunde das verspätete Flugzeug nach Varanasi erreichen, wobei ich extra mit dem Auto über das Vorfeld zu der Maschine gefahren werde, weil die Busse schon weg sind. Möge ihm in Zukunft viel Glück und Gesundheit zuteilwerden, denn in der Hektik konnte ich ihm natürlich nicht einmal gebührlich danken.

Nach erfolgreicher Hetzjagd und bei geschlossenen Türen und Ladeluken sitze ich eine Stunde lang im Flugzeug fest, bevor der Pilot die Rollfreigabe bekommt. Erst gegen 17:30 Uhr komme ich schließlich in der heiligen Stadt Varanasi an. Eigentlich hätte heute Nachmittag die Besichtigung von Sarnath angestanden, dies ist jetzt aber nicht mehr möglich. Glücklicherweise ist morgen genügend Zeit dafür vorhanden. Einen Programmpunkt gibt es dennoch: Mein Reiseleiter, ein dicker, ganz langsam und bedächtig sprechender Mann, den nichts aus der Ruhe zu bringen scheint, und der Fahrer bringen mich durch den selbst für indische Verhältnisse unglaublich chaotischen Verkehr zu einem Parkplatz in der Nähe der Ghats am heiligen Fluss Ganges. Danach geht es knapp einen Kilometer zu Fuß weiter, bis wir, gerade rechtzeitig, den Fluss erreichen. Ich erlebe, mit Hunderten anderer Menschen, die Ganga Aarti-Zeremonie mit, bei der, von lauter ritueller Musik begleitet, sieben Priester die Göttin des heiligen Flusses zum Schlaf geleiten. Die Atmosphäre ist unvergesslich. Die jungen Priester bringen unter dem Nachthimmel tanzend Opfergaben dar, welche die fünf Elemente (Äther, Wind, Feuer, Wasser und Erde) symbolisieren, während im Hintergrund an die Hundert Boote mit Pilgern und Touristen zu sehen sind. Diese Zeremonie ist so feierlich, dass sogar ich alter Asien-Kämpfer einen Kloß im Hals spüre. Leider befindet sich mein Fotoapparat im Auto.
Nach dem Ende der Zeremonie chartert mein Begleiter eine Fahrradrikscha, in der ich neben ihm ein paar Quadratzentimeter Platz ergattern kann, und wir fahren durch den unbeschreiblichen Verkehr zurück zum Parkplatz. Dann geht es mit dem Auto ein Stück weiter zu meinem Hotel, in dem ich ein winziges Zimmer mit Blick auf den heiligen Fluss beziehe. Morgen früh werde ich um 5:30 Uhr zu einer Bootsfahrt abgeholt. Schnell erkunde ich die nähere Umgebung. Keine 200 Meter von meinem Hotel entfernt finde ich ein ordentlich aussehendes Restaurant, in dem ich Special Thali, also eine Platte mit Broten, Reis und verschiedenen pikant gewürzten Gemüse- und Hülsenfrüchtegerichten zu mir nehme. Dazu trinke ich zwei Tassen gewürzten Tee, denn Alkohol gibt es an diesem Pilgerort nicht. Das Essen ist gut und reichlich und alles zusammen kostet gerade einmal 190 Rupien. Nach dem Essen kehre ich direkt in mein Hotel zurück, da ich ja früh aufstehen muss und wenigstens ein bisschen Schlaf abbekommen will.