Delhi, 15.11.2010
Bei schönem Wetter steht heute Vormittag die Besichtigung von Orchha auf dem Programm. Zunächst sehe ich den großen Palast Jahangir Mahal, der anlässlich eines Besuches des gleichnamigen Großmoguls errichtet wurde. Dieser wohnte dann einen ganzen Tag lang hier, danach zog er wieder ab. Einige Zeit wurde der Palast als großzügig dimensioniertes Gästehaus genutzt, heute ist er eine Ruine. Eine schöne Ruine allerdings, die Architektur ist eine sehr gelungene Mischung aus hinduistischem und islamischem Stil.
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Impressionen aus dem Jahangir Mahal.
Gleich nebenan befindet sich der Raj Mahal. Hier kann man teilweise gut erhaltene Wand- und Deckenmalereien bewundern, welche die zehn Inkarnationen Vishnus zeigen. Von den oberen Umgängen und Türmen der beiden Paläste hat man einen schönen Ausblick auf die umliegende Landschaft und auf die nächsten beiden Programmpunkte, den großen alten Vishnu-Tempel und die Kenotaphe der örtlichen Herrscher.
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Wand- und Deckengemälde im Raj Mahal.
Zunächst gehen mein örtlicher Reiseleiter und ich über eine alte Brücke und durch den lebhaften Markt, den ich gestern Abend schon besucht habe. Man gelangt schließlich zu zwei Vishnu-Tempeln, einem neuen, der aktiv genutzt wird und den gerade viele Gläubige besuchen, sowie einem alten, dessen Ruine besichtigt werden kann. Im Inneren des alten Gemäuers ist nicht so viel Interessantes geboten, der wuchtige Bau selbst, den ich vorhin schon von den Palästen aus gesehen habe, ist aber ziemlich beeindruckend. Den neuen Tempel betrete ich nicht, da ich die Einheimischen nicht in ihrer Andacht stören möchte.
Die letzte Station der Besichtigung sind die Kenotaphe, die sich ganz in der Nähe meines Hotels befinden. Man muss sich das Gelände, auf dem sie stehen, aufschließen lassen. Die Gebäude bieten nichts Besonderes, stehen aber in einem recht schönen, einfachen Garten. Hier ist es das Gesamtensemble, das den Reiz ausmacht.
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Links und mitte: Die Kenotaphe. Rechts: Auf dem Fluss werden Wildwasser-Touren veranstaltet.
Da wir früher fertig geworden sind als geplant, trinken wir abschließend vor einem kleinen Restaurant mitten im Dorf etwas Tee. Danach verabschiedet sich der lokale Führer von mir und ich werde etwa 20 Kilometer weit zum Hauptbahnhof von Jhansi gebracht. Von dort aus fahre ich mit dem Zug etwa 400 Kilometer weit nach Delhi. Der Sampark Kranti-Express, der schon vor anderthalb Tagen im 2274 km entfernten Madurai losgefahren ist, trifft mit nur etwa 25 Minuten Verspätung ein, von der er die meiste bis Delhi wieder aufholt. Obwohl es Tag ist, habe ich ein Bett (leider oben) in einem Schlafwagenabteil. Der "Komfort" liegt etwa zwischen der "Hart-Liegen-Klasse" und der "Weich-Liegen-Klasse" auf meinen China-Reisen, an erstere erinnert die Härte der Liegen, an letztere die viel zu stark eingestellte Klimaanlage, die völlig fehlende Beschallung und die Tatsache, dass sich in jedem Abteil vier statt sechs Pritschen befinden.

Die Fahrt wird leider äußerst langweilig, denn einerseits wollen die anderen Reisenden schlafen, andererseits sind die wenigen, kleinen Fenster im Waggon zum Schutz vor der Sonne mit einer schmutzigen Folie beklebt, man würde also ohnehin nicht viel sehen. Somit verbringe ich sechs Stunden im Dunkeln vor mich hin dösend. Kurz nach 18:00 Uhr komme ich schließlich am Bahnhof Hazrat Nizamuddin in Delhi an. Mein Transferbegleiter steht schon auf dem Bahnsteig. Wir kommen durch die Menschenmassen nur mühsam zum Parkplatz voran, auf dem der Fahrer bereits auf uns wartet. Etwa 50 Minuten dauert die anschließende Fahrt (wenn man sie denn so nennen kann, wir kriechen die meiste Zeit über durch den Stau) zu meinem heutigen Domizil.
Für die nächste Nacht hat sich mein Reiseveranstalter mal etwas ganz anderes ausgedacht als sonst: Ich übernachte in einer Privatpension, bei einem sehr netten Ehepaar und seiner 25-jährigen Tochter. Zusammen mit zwei Hausangestellten halten sie den kleinen Betrieb aufrecht. Außer mir logiert ein Ehepaar aus England, beide etwa Mitte 50, in der Pension. Bald nach meiner Ankunft gibt es das Abendessen. Es ist sehr lecker und besteht aus Chicken Biryani, Dhal, zwei Gemüsecurrys und Quark. Dazu gibt es frisch gebackenes Roti. Wir, Gastgeber und Pensionsgäste, unterhalten uns während des Essens und danach sehr angeregt, bis wir uns kurz nach 21:00 Uhr zurückziehen.
Morgen werde ich um 10:15 Uhr abgeholt, um nach Kochi zu fliegen. Damit wird meine Reise eine deutliche Wendung nehmen. Ein Märchenbuch wird geschlossen und ein anderes wird geöffnet, eines, dessen Seiten noch intensiver nach Kardamom und schwarzem Pfeffer, nach Fisch und dem Holz von Schiffen riechen werden. Es geht auf zur Malabarküste, an der einst Vasco da Gama und seine Mannen anlandeten, um die Schätze Indiens den Europäern direkt zugänglich zu machen. Ich bin schon sehr gespannt, was mich erwarten wird.